– h o t )-( s p o t –

Die fruchtlose Dekade
1988-97

©opyright Iris Hoth

 

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Das ist wie morgens schon alt zu sein,
nicht neu das Gefühl, ich
kenne es von früher her.
Ein schmelzender Himmel tropft
einen Grauschleier auf die Welt,
und wir warten auf Neuigkeiten.
Die Mächtigen demontieren Sprengköpfe,
sehe ich im Fernseher, Gorbatschow
mit der gescheckten Glatze, daneben
Reagans lächelndes Faltengesicht.
Seit ich von jedem das Schlechteste denke,
habe ich immer recht.
Das Bruttosozialprodukt steigt weiter, die Wachstumsrate
schreibt das Defizit der Armut ab.
Eine neue Reform kaschiert die Renaissancen alter Mächte.
Wohltätigkeit kauft die Gewissen frei.
Brot für die Welt, die Speisung
der Zehntausend findet immer noch statt.
Katastrophen überstürzen sich,
ohne wahr zu sein, und nur Boris im Finale
bei Wimbledon erregt noch die Gemüter.
Ich gehe zur Arbeit. Der Tag winselt
um den Gnadenschuß. Unbemannte
Stunden triften durch die Zeit.
Meine Mutter sagt: das ist das alter.
 
 
 
 
Eine Schippe voll Gedanken
werfe ich in den grauen Himmel.
Sein blasses, unverändertes Gesicht
stellt keine Fragen,
noch beantwortet er sie.
Ich rufe die Gezeiten des Tages –
Kehrt zu mir, Ebbe, Flut! –
sie gießen sich auf den Asphalt...
Nur wenige Vögel wippen
vor meinem Fenster auf den kahlen Zweigen.
Der weiße Birkenstamm
reflektiert zufälliges, seltnes Licht.
Er steht wie Kalk im trüben,
frühlingsfernen Februar.
Noch wenige Wochen,
und es rundet sich das Jahr
meiner mit dir gereisten Geschichte.
Ein pralles, windgeblähtes Segel,
es stob davon, bis es der Horizont verbarg.
Die Spur am Strand zurückverfolgend,
erkenne ich, daß wir uns nicht paarten.
Es war die Heißglut des Sommers,
unsere Träume liebten sich – und ich dich
sogar noch in den Ruinen des Winters.
Jetzt macht der Tag mir lange Schatten,
in der Nacht stehle
ich einem Kometen seinen Schweif.
Auf der Straße zittert, dem die Welt
entrückt, mein Herz.
 
 
 
 
Draußen tobt ein Wetter,
die Sonne, bewaffnet mit Schwertern,
sticht. Herz ist Trumpf.
Die Vögel, Besatzungsmacht auf Dachfirsten,
zwitschern einander zu
von den Palmen ihres Winteraufenthalts.

Das Asyl ist verlassen. Hitze
treibt hinaus durch die Straßen zum Fluß.
An seinen Ufern
seh ich noch die Scheiterhaufen
Rauchzeichen geben.

Da, die Frauen wieder
mit langen Beinen, Kinder spielen, und
in den Männern erwachen die Piraten.
Ein Lächeln hat sich auf die Gesichter
gestohlen und will nichts mehr wissen
vom gestrigen
Weltuntergang.

 
 
 
 
Leuchtfeuer

Auf dem Trümmerfeld
zerstörter Illusionen
stehst du und läßt Drachen steigen.
Girlanden am Himmel, die bunten
Papierschwänze radieren die Wolken aus.

Komm nachhaus – "Zuhaus" sagst du,
"Wo ist das?"
Ich schreib die Verse für
einen Gassenhauer,
und du machst die Musik dazu.
Heut nacht schlafen wir unter der Brücke.

Gieß mir einen Cognak ein,
die Welt ist so verlogen,
das wissen du und ich, und jeder
schmeißt sein Scherflein in den Trog.
Selbstverleugnung, Fremdbestimmung, mir
hat das Leben den schwarzen Peter zugeschoben.
Was machen wir nun?

Komm nachhaus – "Zuhaus" sag ich,
"Wo ist das?"
Ich schreib die Verse für
einen Gassenhauer,
und du machst die Musik dazu.
Heut nacht schlafen wir unter der Brücke.

Lust hab ich, so unbeschreiblich Lust,
ich renne schneller als der Wind.
Wovor mir graut, das ist das
stinknormale Leben.
Schenk mir ein Kind, wenn's sein muß,
stopf ich sogar Socken.
Knebel zwischen den Zähnen, Scheuklappen,
ladylike, verdammt, wenn's Abend ist,
vor der Klotze hocken.

Heut nacht schlafen wir unter der Brücke.
Ich schreib die Verse für
einen Gassenhauer,
und du machst die Musik dazu.
Du fragst "Zuhause, wo ist das?"
Ich gieß dir einen Cognak ein,
dann lassen wir
Leuchtfeuer steigen.

 
 
 
 
Wer bietet Freiheit an?
Ich wähle zwischen grün und blau.
Du bist der Mann. – Oder bist Du's? –
Jedenfalls: Ich bin die Frau.

Blau, das scheint die Farbe mir zu sein.
Es reimt sich true auf blue,
hingegen niemals blau auf treu,
es bleibt ein Knittelvers, wie oft auch aufgesagt.
Für Dich reim ich ihn alle Tage neu.

Dagegen grün, das ist die Hoffnung,
so sagt man. Es ist auch der Ton,
der sommerfroh dem Schnee vorangeht.
Der ist kalt und außerdem:
Den Winter kenn ich schon.

Da ist die Nacht mit warmen Träumen.
Ich faß Dich an – Dich oder Dich – ich weiß es nicht genau,
und such vergeblich, um zu unterscheiden,
und weiß es wieder:
In der Nacht sind alle Katzen grau!

 
 
 
 
Ich kenn ein Haus
mit Erkerchen und Zinnen,
eine Festung ist es mehr.
Dort ist das Tor
und dies der Weg nach drinnen,
doch drinnen find ich's leer.

Bald versteh ich,
die Festung als ein Panzer
dem Lebendgen auf dem Rücken wuchs
und wurde schwer,
dies Wunderwerk voll Glanz, der
Lebendige ertrugs.

Schnell hinaus,
von draußen kann ich sehn,
wie anmutig und einsam
die verlassnen Türme stehn.

Und weiß, mit Panzer auf dem Rücken
ist selbst ein kurzer Weg sehr weit.
Der dieses reiche Werk zurückließ,
ist in die Welt befreit.

 
 
 
 
Ich ging mit Kathrin am Strand,
da fand
ich eine Qualle.

Igitt! rief Kathrin,
sie stand
kurz vor dem Ohnmachtsfalle.

Ich legte die Qualle auf meine Hand,
dem klibbrigen Ekel zum Trotz.

Da hat mir die Qualle, blitz-potz,
das so mutige Händchen verbrannt.

 
 
 
 
Ich liebe die Steine, vielleicht
ist, was wir als unbelebt sehn,
ganz Seele, vertieft in die Welt,
und es gleicht
dem Gott, den wir nicht verstehn.